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Nichtanwendungserlasse in der Kritik

Das Bundesfinanzministerium wehrt sich gegen die Kritik an Nichtanwendungserlassen und hält weiter an dieser Praxis fest.

Immer wieder weist das Bundesfinanzministerium die Finanzämter an, bestimmte Entscheidungen der Finanzgerichte in anderen, gleich gelagerten Fällen nicht anzuwenden. Die vom Bundesfinanzminister immer wieder gerne so titulierte "Abteilung Propaganda und Agitation" seines Ministeriums verwahrt sich nun gegen den Vorwurf, das Ministerium würde mit dieser Praxis das Gebot rechtstaatlichen Verhaltens verletzen. In fünf Punkten setzt sich das Ministerium mit der Kritik auseinander:

Das ist zwar soweit richtig, allerdings entscheiden die Gerichte bei gleicher Sach- und Rechtslage nur äußerst selten gegen die Präzedenzentscheidungen des Bundesfinanzhofs. Und daher kann jeder Steuerzahler vor Gericht mit guten Erfolgsaussichten die gleiche Behandlung wie im Präzedenzfall erwarten, womit die Finanzverwaltung so steht, als hätte sie das Urteil gleich wie vom Steuerzahler gewünscht angewendet. Allerdings ist eine Klage vorm Finanzgericht mit einigem Aufwand verbunden und erfordert einen Kostenvorschuss, der auch bei einer Klagerücknahme nicht erstattet wird. Der Nichtanwendungserlass führt also zu einer Ungleichbehandlung, weil nur die Steuerzahler mit genügend Geduld und Geld zu dem für sie günstigeren Recht kommen.

Dieses Argument führt natürlich zu der Frage, inwieweit ein Nichtanwendungserlass dadurch besser wird. Auch die Begründung, ein Erlass diene einzig dazu, dem BFH Gelegenheit zu geben, in einem neuen Verfahren seine Rechtsauffassung zu überprüfen, wirft Fragen auf. Zwischen den Zeilen kann man aus dieser Begründung jedenfalls die Überzeugung herauslesen, in der Finanzverwaltung säßen die kompetenteren Juristen als am Bundesfinanzhof.

Auch dieses Argument kann kaum überzeugen, denn ein Willkürakt wird nicht dadurch besser, dass er nur selten ausgeführt wird. Vom Anfang 1998 bis Ende 2008 hat der BFH 3.711 zur amtlichen Veröffentlichung bestimmte Entscheidungen getroffen. In jedem 57. Fall haben die Finanzbehörden einen Nichtanwendungserlass herausgegeben. Das macht immerhin mehr als 60 Nichtanwendungserlasse in diesem Zeitraum.

In diesem Punkt hat das Ministerium sogar recht. Dass dieses Argument eher vorsichtig formuliert ist, hat aber seinen Grund: Die Nichtanwendungserlasse zugunsten der Steuerzahler sind deutlich in der Minderheit - allenfalls jeder zehnte Erlass wirkt so. Nicht umsonst ist das Beispiel, das das Ministerium aufführt bereits sechs Jahre alt. Außerdem stellt sich in diesen Fällen die Frage, warum die Finanzverwaltung überhaupt erst für ein letztinstanzliches Urteil gestritten hat, wenn sie doch eigentlich eine steuerzahlerfreundlichere Auffassung haben will.

Das Ministerium meint: Ein Nichtanwendungserlass ist geboten, wenn verschiedene Senate des BFH unterschiedliche Rechtsauffassungen vertreten und keine Anrufung des großen Senats erfolgt. Dass man sich im Ministerium dann allerdings in der Regel dasjenige Urteil aussucht, das für den Fiskus günstiger ist, erwähnt die Stellungnahme jedoch nicht. Außerdem ist unklar, inwieweit das Ministerium auch eine Änderung der Rechtsprechung des BFH unter diesem Punkt subsumiert - denn auch darauf reagiert man gerne mal mit einem Nichtanwendungserlass, wenn sich eine Gesetzesänderung nicht schnell genug realisieren lässt.

Fazit: Mit dieser Verteidigungsschrift wird das Ministerium kaum einen Steuerexperten außerhalb der Finanzverwaltung von der Praxis der Nichtanwendungserlasse überzeugen können. Und auch normale Steuerzahler tun gut daran, den hehren Motiven, die sich das Ministerium zuschreibt, zumindest misstrauisch zu begegnen. Bleibt es bei der Praxis, so bleibt auch die Ungleichbehandlung der Steuerzahler bestehen zwischen denjenigen, die sich den Mühen eines finanzgerichtlichen Verfahrens unterziehen, und denjenigen, die angesichts der Weigerung des Finanzamts resignieren.

Kritikwürdig bleibt die Praxis jedenfalls allein schon deswegen, weil das Ministerium auch einfach eine Gesetzesänderung veranlassen könnte, die dann nicht nur die Finanzverwaltung binden würde - schließlich kommen die Entwürfe für Gesetzestexte fast ausnahmslos aus dem Haus des Bundesfinanzministers. Doch entweder hat man Angst, die eigene Auffassung im politischen Prozess nicht durchsetzen zu können oder man scheut die damit verbundenen Mühen. So oder so gibt es neben der Finanzverwaltung keinen anderen Zweig der Exekutive, der von Zeit zu Zeit so offenkundig höchstrichterliche Urteile ignoriert.

 
[mmk]
 
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